Die Geschichte des Klangerzeugers „SUBHARCHORD“

1. Das Subharchord

Subharchord III 1965/66


Ortstermin Berlin-Mitte: am 25. April 1997 gibt der Konstrukteur des Mixturtrautoniums und Virtuose auf diesem Instrument, Oskar Sala, in der überfüllten Berliner Volksbühne eines seiner äußerst seltenen Konzerte. Die Zeit dafür ist günstig, denn im Zuge eines neuen wachsenden Interesses an elektronischer Musik, und eines Revivals analoger Synthesizer, sind auch Salas subharmonische Klänge wieder gefragt. Die auf Modulsysteme spezialisierte Firma von Dieter Doepfer plant ein Trautonium-Projekt und im Publikum werden an jenem Apriltag in der Volksbühne etliche bekannte Repräsentanten der deutschen Elektronikmusikszene aus drei Jahrzehnten gesehen, die dem Altmeister und musikalischen Einzelgänger Sala begeistert applaudieren.


Sala begleitet seinen Vortrag mit kurzen Klangproben auf der für Live-Auftritte eigentlich wenig geeigneten Trautonium-Apparatur und scheint damit wieder einmal „Neuland“ betreten zu haben: subharmonische Mixturen erklingen live nun auch im ehemaligen Ostteil der wiedervereinigten Stadt, an einem Ort, der als historische Stätte gilt1. So ist auch Oskar Salas dortiger Auftritt für die meisten Zuhörer ein historischer Augenblick innerhalb der Geschichte der elektronischen Musik, während eine kleine Gruppe Eingeweihter nur müde lächelt: „Subharmonische Mixturen? Ham wa allet schon jehabt!“


Karlheinz Stockhausen am Subharchord III im Studio in Bratislava, April 1968

An dieser Stelle beginnt eine der seltsamsten Geschichten aus der Welt der elektrischen Musik um ein völlig in Vergessenheit geratenes Instrument, das ehemals als technische Besonderheit stolz einem internationalen Publikum präsentiert wurde, um dann im Zuge politischer Verwicklungen zu einem nur kurzen Leben verurteilt zu sein:

die Geschichte des subharmonischen Klangerzeugers SUBHARCHORD.


Werbeblatt „Subharchord“, 1965

Ortstermin Berlin-Adlershof, Agastraße: im Frühjahr 2003 bietet die „Media-City-Adlershof“ ein wechselvolles Bild zwischen Erneuerung und Verfall. Im hinteren Bereich der Straße betritt man nach kleineren Kletterübungen ein Grundstück auf dem mehrere abrißreife Gebäude stehen. Wagt man sich in die achtstöckige Hochhausruine, deren vorgelagertes Entree mit einem zeittypischen figürlichen Mosaik verziert ist, so fällt die Vielzahl der elektrischen Installationen auf: große Sicherungsschränke und Kabelkanäle in fast jedem der Räume. Hefter mit elektrischen Schaltplänen liegen im Dreck der geplünderten Werkstätten. Einer dieser Schaltpläne mit Darstellungen von Leitungsverstärkern und Rauschindikatoren trägt den Aufdruck „Deutsche Post, Institut für Post- und Fernmeldewesen“. Wir befinden uns im verlassenen Produktionskomplex des ehemaligen Rundfunk- und Fernsehtechnischen Zentralamtes der Deutschen Post der DDR, dem „RFZ“. Hier im RFZ fanden sich interessierte Techniker und Tonmeister in den Jahren um 1960 zusammen, um sich der elektronischen „Klang- und Geräuscherzeugung“ zu widmen.


Einige hundert Meter weiter in den neu verputzten, renovierten Gebäudeblöcken R1 und R2 befand sich die Entwicklungs- und Forschungsstätte des RFZ: das Labor für Akustisch-Musikalische Grenzprobleme. Dies war die Geburtsstätte des Subharchords. Das Labor
widmete sich in einem speziellen Experimentalstudio sowohl der Beobachtung internationaler Arbeiten und der Durchführung von Untersuchungen im „akustisch-musikalischen Grenzgebiet“ als auch der Entwicklung von Geräten zur elektronischen Klangerzeugung. Der Betrieb wurde schon Mitte der fünfziger Jahre aufgenommen als das RFZ noch als „Betriebslabor für Rundfunk und Fernsehen (BRF)“ fungierte, bevor es 1960 umbenannt wurde.


Zunächst hatte die Absicht bestanden, den Bau einer elektronischen Orgel, der schon im Werk für Fernmeldewesen in Berlin-Oberschöneweide 1956 begonnen worden war, weiterzuführen. In einem Informationsheft werden die Ziele benannt: „Die weite Verbreitung der klassischen Orgelmusik ließ den Wunsch rege werden, mit den heutigen technischen Mitteln ein gleichwertiges, aber beweglicheres Instrument zu erbauen.“ 2

Die in den USA bereits vielfach produzierten neuen kompakten Orgeln waren aufgrund ihrer großen Verbreitung längst bekannt, ihr Klang wurde allerdings als musikalisch unzureichend, und im Falle der Hammond-Orgel beispielsweise als zu starr und „zu süßlich“ empfunden. Noch Mitte der 70er-Jahre hieß es dazu in einer Publikationsreihe aus der DDR: „Auf manche Zuhörer wirken diese starren Frequenzverhältnisse in der Stimmung des Instrumentes ermüdend.“ 3 Abgesehen von der negativen Bewertung der Hammond-Klänge war man nicht geneigt das elektromagnetische bzw. elektromechanische Prinzip dieses Instrumentes zu kopieren, sondern suchte nach der Möglichkeit eine rein elektronische Orgel, die besondere Ansprüche erfüllte und eine ernstzunehmende Alternative zu konventionellen Pfeifenorgeln bildete, zu verwirklichen.


Die „Toccata-Orgel“ (die bereits Formantfilter enthielt) wurde konzipiert. Bald mußte man jedoch erkennen, daß eine Weiterführung der Entwicklung aufgrund technischer Unzulänglichkeiten und der zu erwartenden hohen Kosten für eine anvisierte Serienproduktion nicht sehr aussichtsreich war.

So besann man sich zunehmend auf die frühen Anfänge der elektronischen Musik. Eine Orientierung die auch auf Anregungen des 1894 geborenen und seit 1948 in Ost-Berlin ansässigen Komponisten Paul Dessau, der stets für neue Tendenzen in der Musik offen war, zurückzuführen ist. Dessau, der schon in den 30er-Jahren mit Oskar Sala zusammengearbeitet hatte, riet nachdrücklich dazu, sich an frühen Erfindungen wie dem Theremin und dem Trautonium zu orientieren, wenn es darum ging, ein elektronisches Instrument zu konstruieren das dem Komponisten und Interpreten die größte Anzahl von Möglichkeiten zur Realisation autonomer Kompositionen bieten soll.

Man faßte daher den Entschluß die Synthese subharmonischer Klänge wieder aufzugreifen und plante ein Mixturinstrument, während das Projekt der Elektronik-Orgel bald zurückgestellt wurde. Anfangs waren jedoch ersteinmal ideologische Hindernisse zu beseitigen, denn die politisch Verantwortlichen witterten hinter den subharmonischen Mixturen anscheinend Subversion und Subkultur. Das damalige Ministerium für Kultur schrieb in einer Stellungnahme: „Uns ist bekannt, dass im Zusammenhang mit elektronischen Musikinstrumenten der Begriff subharmonisch häufig auftaucht. Wir möchten jedoch darauf hinweisen, dass dieser Terminus in der Musiktheorie als eine musikalische Fiktion betrachtet wird. Hierüber hat noch keine wissenschaftliche Klarstellung stattgefunden, so dass dem Begriff subharmonische Mixturen zumindest mit Vorbehalt zu begegnen wäre." 4

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INFO: Die subharmonische Reihe


Grafik der subharmonischen Reihe


Die bei konventionellen Instrumenten und in der Natur vorkommenden Klänge sind eine Summe von Tönen unterschiedlicher Tonhöhe, eine harmonisch zusammengesetzte Verbindung von Teiltönen, von Sinusschwingungen. Einem Grundton sind in einem ganzzahligen Verhältnis stehende Obertöne zugeordnet.


Die Untertonreihe oder subharmonische Reihe ist das intervallgetreue Spiegelbild der Obertonreihe, die Grundfrequenz wird hierbei der Reihe nach durch ganze Zahlen geteilt (derartige Untertöne sind bei gebräuchlichen Instrumenten nicht hörbar!).
Die Harmonischen (Obertöne), die von einem Grundton abgeleitet werden entsprechen einer Dur-Akkordreihe, die durch Teilung abgeleiteten Subharmonischen entsprechen den Tönen einer Moll-Akkordreihe.
Um aus den Moll-Mixturen Dur-Akkorde zu bilden werden Schwingungen/Tonsignale eines Nebengenerators zusätzlich hinzugemischt.
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Der langjährige Leiter des Labors für Akustisch-Musikalische Grenzprobleme, Herr Dipl. Ing. Gerhard Steinke, der den Autor dieses Artikels mit vielen Informationen versorgte, schreibt dazu: „ Der Vertreter in diesem Ministerium konnte später von der tatsächlichen Realität elektronisch erzeugter subharmonischer Klänge überzeugt, sogar begeistert werden und unterstützte die Entwicklungen (…bis er sich über die damals noch offene Grenze "absetzte"!).“4


Nun konnte die eigentliche Konstruktionsarbeit beginnen, der Bau eines leicht bedienbaren Klang- und Geräuscherzeugers der das Kernstück eines elektronischen Studios darstellen sollte. Dabei wollte man ein Gerät entwickeln, das das 1952 von Oskar Sala fertigestellte Mixturtrautonium auf Röhrenbasis hinsichtlich des technischen Aufbaus und seiner klanglichen Möglichkeiten übertraf und das den neuesten Stand der Technik repräsentierte.


Bei der Zielsetzung, den geplanten Klangerzeuger perfekt auf die Erfordernisse eines modernen Studios für elektronische Musik und Filmvertonung auszurichten, konnte man auf bereits gewonnene Kentnisse und Anregungen zurückgreifen. Denn schon um 1950 hatte der spätere Laborleiter, Herr Steinke, Repräsentanten einer neuen Musik, wie den Dirigenten und Komponisten Hermann Scherchen, kennengelernt (und später in seinem Studio in Gravesano besucht) oder bei den berühmten „Darmstädter Ferienkursen“ die Vertreter der Kölner Schule, Eimert, Stockhausen u.a. getroffen. Zu dieser Zeit begann ein grenzübergreifender wechselweiser Austausch, der dazu führte, daß das Labor für Akustisch-Musikalische Grenzprobleme bald über eine hervorragende kleine Sammlung von Tondokumenten internationaler Studios für experimentelle Musik verfügte: Köln, Bonn, München, Mailand, Niederlande, Paris, Schweiz, Warschau, Bratislava, Moskau, Illinois, London, Toronto!


Im April 1959 wurden die Arbeiten für ein Mixturinstrument aufgenommen.5
Zwecks leichterer Bedienbarkeit verzichtete man auf die Konstruktion eines Bandmanuals wie es vom Trautonium her bekannt war (und dessen Prinzip schon von Lertes und Helberger beschrieben wurde6) eine mit Widerstandsdraht umsponnene Darmsaite, die berührungslos über eine Metallschiene gespannt ist, und bei Fingerdruck einen Metallstreifen in einen kleinen Behälter mit Glycerin taucht (!). Die Verwendung einer niederzudrückenden Saite war beim Trautonium zwar auch durch musikalisch-technische Erfordernisse begründet (kontinuierliche Tonhöhenänderung), wichtig war jedoch ebenfalls der Einfluß von Paul Hindemith, ein angesehener Förderer des Trautoniums, der als ausgebildeter Violinen- und Bratschenspieler auf das Saiten-Spiel nicht verzichten wollte.


Anstelle der komplizierten schwer spielbaren „Wundersaite“ (Sala), die die Verbreitung des später auch in Kleinserie hergestellten Sala´schen Trautoniums deutlich behinderte, entschieden sich die Subharchord-Entwickler im Ostberliner Studio bald für ein einfaches Tastenmanual mit Glissando-Spieleinrichtung. Eine Lösung, die auf den ersten Blick konventionell klingt, aber nicht nur wesentlich pflegeleichter und praktischer war als Salas Konstruktion, sondern auch über ein exklusives Merkmal verfügte: einer druckabhängigen, völlig geräuschfrei und stufenlos arbeitenden Lautstärkeregelung mittels Lichtsteuerung. Zusätzlich wurde in einer folgenden Version des Subharchords eine Abklingeinrichtung realisiert. Ein nuanciertes Spiel war damit nach kurzer Einarbeitung jedem Musiker der mit dem Klavierspiel vertraut war, möglich. (zu den technischen Details wird ausführlich in der nächsten Folge eingegangen)


Das Subharchord-Versuchsgerät 1961/62

Als Erfinder des Subharchords gilt der im Labor für Akustisch-Musikalische Grenzprobleme tätige Entwicklungsingenieur Ernst Schreiber. Schreiber, der schon am Orgelprojekt (s.o.) gearbeitet hatte, erhielt um 1961 Unterstützung von Paul Arnold, der speziell die Realisation der Subharchord-Klangfilter vorantrieb. 1961 war auch das Jahr der Namensgebung des Subharchords, nachdem im Juli 1959 die erste Konzeption fertig war.5
Technisch wollte man auf der Höhe der Zeit sein und verzichtete weitgehend, auch aus Gründen der Betriebssicherheit, auf die Verwendung von Röhren, um das Instrument zu 98% mit Halbleiterbauelementen, also mit Transistoren und Dioden zu bestücken. Dabei kamen gedruckte Schaltungen zum Einsatz, die in der Art von Kartei-Einschüben im Gerät positioniert wurden. Die erste Version (Subharchord I) war noch im für die ehemals geplante Orgel vorgesehenen Holz-Gehäuse untergebracht, während spätere Versionen in einem Metallgehäuse gefertigt wurden (Formgestaltung: Gunter Wächtler).


Subharchord I (Holzgehäuse) im Studiolabor des RFZ 1963/64

Das Subharchord ist damit das erste auf der Basis von Mikroelektronik gebaute subharmonische Instrument. Es entstand 26 Jahre bevor eine verwandte Konstruktion von den Professoren der Fachhochschule der Deutschen Bundespost in Berlin(West), den Herren Borowicz, Zahn und Rudolph, sowie beteiligten Studenten gebaut wurde. Sie stellten 1987/88 das neue „Mixturtrautonium nach Oskar Sala“ fertig, das dieser bis zu seinem Tod benutzte. Anstelle der bislang verwendeten Röhren wurde dafür nun ebenfalls Halbleitertechnik verwendet, ein Vierteljahrhundert nach der Entwicklung des Subharchords im Labor des RFZ in Berlin(Ost), und nur wenige Kilometer voneinander entfernt, durch eine Mauer getrennt und ohne voneinander zu wissen!

Das ehemals im RFZ in der Agastraße stehende frühe Modell Subharchord Typ II machte in den Jahren eine kleine innerstädtische Reise:
aus dem Experimentalstudio wurde das Instrument kurz vor dem endgültigen Ende des Studiobetriebs, um 1969, an das Postmuseum übergeben. Durch Mitwirkung von Prof. Georg Katzer wurde der schon leicht beschädigte und nicht mehr voll funktionsfähige Prototyp 1979/80 in das Studio der ostberliner Akademie der Künste in der Luisenstraße überstellt. Die beiden Akademien in Ost- und West-Berlin wurden 1993/94 vereinigt.
Schließlich fand das Subharchord einen letzten Ruheplatz im Studio für Elektroakustische Musik der Akademie, das sich seit 1999/2000 in Berlin-Charlottenburg befindet, und wartet auf seine Instandsetzung.


--- Dazu mehr in der nächsten Folge; außerdem eine detaillierte Funktionsbeschreibungen der Subharchord-Typen, Informationen zu Kleinserie, Export und Standorten.


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Quellenangaben:

1 Publikation des Instituts für Denkmalpflege der DDR, Berlin, 1986.
2 Informationsblatt Elektronisches Konzertinstrument EKJ1,
VEB Werk für Fernmeldewesen, Berlin-Oberschöneweide, Februar 1958.
3 „Elektromechanische und vollelektronische Musikinstrumente“ - Teil 1,
Georg Engel, Militärverlag der DDR, Berlin, 1975.
4 „Rückblick auf das Subharchord und die Arbeit des Studios für künstliche Klang
und Geräuscherzeugung“, Gerhard Steinke, Berlin, aktualisierte Fassung, November 2002.
5 „Ein elektronisches Mixturinstrument“, Ernst Schreiber, in:
„Erste Fachtagung für Tonmeister und Toningenieure des Rundfunks und Fernsehens
in der DDR, Berlin, Februar 1960.
6 in „Elektrische Musik“, Dr. P. Lertes, Verlag Theodor Steinkopff, Leipzig, 1933.


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* www.subharchord.de