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Dipl.-Ing. Wolfgang Hoeg hat seit Beginn der Tätigkeit von Ing. Ernst Schreiber (1959) bis zu dessen Ausscheiden in engem Kontakt als Entwicklungsingenieur und teilweise als stellvertretender Laborleiter im Labor für Akustisch-musikalische Grenzprobleme gearbeitet und konnte dabei die Entwicklung des Subharchord sowie seine Anwendung bei elektronischen Produktionen aus nächster Nähe mit verfolgen.
Herr Hoeg erklärte sich im März 2008 freundlicherweise bereit, einige Fragen zum Thema zu beantworten.
Nachfolgend ist das ungekürzte Interview abgedruckt.
Eine eigene Website von W. Hoeg, die viele weitere Details zu Entwicklungen des genannten Labors dokumentiert, findet man hier.


Das Interview fand im März 2008 statt (WH = Wolfgang Hoeg / MM = Manfred Miersch).

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MM: Wie haben Sie die Person des Subharchord-Erfinders Ernst Schreiber erlebt?

WH: Ernst Schreiber war - so wie ich selbst - seit 1959 Mitarbeiter des Labors für Akustisch-musikalische Grenzprobleme unter Leitung von G. Steinke im damaligen BRF, dem späteren RFZ (Rundfunk- u. Fernsehtechnisches Zentralamt) der Deutschen Post. Wir haben danach viele Jahre Tür an Tür gearbeitet, wenn auch meist auf verschiedenen Gebieten. Er war ein überaus netter und hilfsbereiter Kollege, immer bereit, seine Erfahrungen an die jüngeren Mitarbeiter weiterzugeben, seinerseits aber auch die speziellen Kenntnisse der Elektroakustiker zu nutzen. Daraus ergaben sich nicht nur viele Fachdiskussionen und Gespräche, sondern auch die gelegentliche Beteiligung an der Entwicklung bestimmter Funktionen des Subharchord.

Von Hause aus war E. Schreiber Ingenieur für Hochfrequenztechnik, er hatte vorher auf dem Gebiet der Fernsehempfänger-Entwicklung gearbeitet und war von daher mit allen Fragen der Impulstechnik und Halbleiterelektronik bestens vertraut. Dann hat er jedoch seine musischen Interessen mit dem Beruf vereint und zunächst die seinerzeit bekannte elektronische „Toccata-Orgel“ entwickelt. Im BRF erhielt er dann den Auftrag zur Entwicklung eines elektronischen Universalklangerzeugers auf Basis der bekannten subharmonischen Klangstrukturen, dem späteren Subharchord.

Ernst Schreiber war selbst ein passionierter Orgelspieler, der in seiner Freizeit ehrenamtlich als Organist in seiner Pankower Heimatgemeinde wirkte. Nachdem es technisch möglich war, hat E. Schreiber auch auf seiner Versuchsanordnung im Labor oft „Orgel“ gespielt (seit dieser Zeit erkenne ich J. S. Bachs „Toccata und Fuge d-moll“ bereits nach den ersten drei Tönen!).

MM: Haben Herr Schreiber und seine Mitarbeiter (also auch Sie selbst) sich bei der Konstruktion des Subharchords von bereits existierender Instrumententechnik inspirieren lassen? Z.B. hinsichtlich der MEL-Filterbank, denn diese gab es ja Mitte der 50er-Jahre bereits beim elektronischen Musikinstrument "Hohnerola" (der Firma Hohner aus Trossingen) das im Siemens-Studio in München stand?

WH: Das Vorbild in Bezug auf die subharmonischen Klangstrukturen, die ja in dieser Form in der „natürlichen“ Welt der Akustik praktisch nicht vorkommen, war natürlich das bekannte Mixtur-Trautonium von Oscar Sala. Aber hierzu gab es - neben der moderneren Schaltungstechnik - den wesentlichen Unterschied in der „Mensch-Maschine-Schnittstelle“, d. h. eine Klaviatur mit druckabhängiger Laustärkeregelung anstelle des für das Trautonium charakteristischen Bandmanuals, die das Subharchord für jeden Komponisten nach kurzer Einarbeitungszeit spielbar machte.

Auch die Mel-Filterbank, seinerzeit von J. A. Riedl (München) angeregt, wurde nicht nur hinsichtlich besserer Filtereigenschaften (Entwurf und Bau durch P. Arnold), sondern insbesondere auch durch ihre flexible „Spielbarkeit“ über ein separates Tastenmanual zu einem vielseitigen Gestaltungsmittel weiterentwickelt.

MM: Welchen Aspekt fanden Sie bei Ihrem Mitwirken an der Entwicklung des Subharchords persönlich am spannendsten?

WH: Am spannendsten fand ich (wie vermutlich auch die meisten meiner Kolleginnen und Kollegen) die Möglichkeit der Verknüpfung moderner Technik mit ebenso modernen Formen der Musik, und natürlich später die hautnahe Begegnung mit heute noch bekannten Musikern und Komponisten (wie Addy Kurth, Hans-Hendrik Wehding, Siegfried Matthus, Bernd Wefelmeyer, dem exzentrischen Frederic Rzewski und vielen anderen), denen wir die Möglichkeiten und den Umgang mit diesem vielseitigen Klangerzeuger nahe bringen konnten.

Eigene Beiträge zur Entwicklung des Subharchord beschränkten sich zunächst auf die Einführung des an sich bekannten Ringmodulators als zusätzliche Effektfunktion. Es folgten Anregungen zur Anwendung der sog. aleatorischen Modulation, das ist eine Form der Frequenzmodulation, wo das modulierende Signal als stochastische Größe aus dem Hüllkurvensignal eines Schmalbandrauschens gewonnenen wird. Diese Funktion war bei der Entwicklung des Subharchord II als einer von verschiedenen Modulationseffekten vorgesehen, konnte aber letztlich nicht mehr realisiert werden - wie auch manch andere geplante Ergänzung.

Für das um das Subharchord herum entstandene elektronische Studio wurden u. a. auch Verzögerungs- und Iterationstechniken für die elektronische Signalbearbeitung entwickelt, darunter (gemeinsam mit M. Wasner und dem genialen Werkstattmeister M. Heining) ein spezieller Kopfträger für das bekannte Studio-Magnetbandgrät R28/R38 mit manuell kontinuierlich einstellbarem Kopfabstand zwischen Aufzeichnungs- und Wiedergabekopf zur Realisierung variabler Verzögerungszeiten - an elektronische Verzögerungsgeräte war zu dieser Zeit ja noch nicht zu denken!

Und in der spannenden und kreativen Anfangszeit des elektronischen Studios in Adlershof hat während der frühen elektronischen Produktionen fast jeder Mitarbeiter des Labors - vom Laborleiter über die Entwicklungsingenieure bis hin zum Labormechaniker - öfters einmal am Subharchord assistiert, am Mischpult gesessen oder an den Bandmaschinen gestanden.

MM: Haben Sie selbst das Subharchord vorrangig als Klang- und Geräuscherzeuger zur Filmvertonung betrachtet oder eher als Instrument für Komponisten neuer und experimentell ausgerichteter Musik?

WH: Ich denke, dass sich alle an der Konzipierung und Entwicklung des Subharchord Beteiligten von Anfang an einig waren, dass eine solche Einrichtung universell einsetzbar sein sollte, also sowohl für die Produktion von Filmmusiken und Effekten, als eigenständiges Instrument als auch im Verbund mit anderen Instrumenten oder Klangquellen für Kompositionen der experimentellen Musik etc. Und die in dieser Zeit entstandenen Kompositionen haben ja alle diese Anwendungsfelder abgedeckt, sei es für die Filmvertonung oder in der Hörspielproduktion, für elektronische Studioproduktionen von neuer Musik oder auch für solistische Live-Aufführungen mit Orchester.

MM: Hatten Sie während oder nach Ihrer Tätigkeit als Entwicklungsingenieur persönlich Kenntnis von der Erfindung der ersten modularen Synthesizer z.b. von Robert Moog (Ende der 1960er Jahre) und haben Sie mal mit einem derartigen analogen Synthesizer gearbeitet?

WH: Natürlich kannten wir diese seinerzeit aktuellen Entwicklungen analoger Synthesizer aus der Literatur und auch von veröffentlichten oder ausgetauschten Klangbeispielen her, die eigene Beschäftigung am Objekt selbst war jedoch praktisch ausgeschlossen, da Importe oder auch eine Ausleihe zu dieser Zeit aus den bekannten Gründen nicht möglich waren.

MM: Wie funktionierte die Rhythmisierungseinrichtung des Subharchord-Exportmodells?

WH: Zu diesem Detail kann ich leider keine Angaben mehr machen, ich vermute jedoch, dass es sich um eine Art digitaler Torschaltung mit einstellbaren Taktzeiten etc. handelt, die einen stationären Klang in eine rhythmische Folge von zeitlich begrenzten Tonimpulsen einstellbarer Dauer umwandelt.

MM: Was hätten Sie persönlich bei der Konstruktion des Subharchord rückblickend technisch besser oder anders gemacht?

WH: Das Subharchord stellte zu seiner Zeit schon eine avantgardistische und bahnbrechende Entwicklung auf dem Gebiet der elektronischen Klangerzeugung dar, das galt sowohl für seine Funktionen, die angewandte Schaltungstechnik wie auch das moderne Design des Spieltisches selbst.

Bereits nach den ersten Erprobungen mit Musikern und Komponisten musste wir allerdings feststellen, dass die unendlich vielfältigen Parametereinstellungen des Instrumentes manchmal nur schwer zu händeln waren und eine hohe Disziplin bei der Dokumentation der für eine bestimmte Anwendung gewählten Voreinstellungen erforderten, um bei der Fortsetzung der Arbeit nach einer Unterbrechung und Umprogrammierung wieder mit den gleichen Parametern weiterarbeiten zu können wie vorher. Daraus ergab sich bald der Wunsch nach einer Möglichkeit zur Abspeicherung dieser Einstellungen und ihrer einfachen Wiederherstellung aus dem Speicher (Recall). Hierzu gab es verschiedene Lösungsvorstellungen, die leider zu dieser Zeit aus technischen wie auch Aufwandsgründen nicht zu realisieren war.

MM: Das Subharchord war bis zum Erscheinen der mehrteiligen Serie im Fachmagazin "Keyboards" (vor mehreren Jahren) und bis zur Veröffentlichung dieser Website nur den damals direkt Beteiligten bekannt. Durch die Publikationstätigkeit hat sich der Bekanntheitsgrad des Instrumentes stark erhöht. Sehen Sie selbst eine Zukunft für den faszinierenden Klangerzeuger, kann diese Erfindung heute noch Impulse für technische Neu-Entwicklungen im Instrumentenbau liefern?

WH: Wie bereits erwähnt, sind die außerordentlich reizvollen subharmonische Klangstrukturen, wie sie mit dem Mixtur-Trautonium oder dem Subharchord erzeugt werden konnten, bei normalen akustischen Schallquellen nicht zu finden und - abgesehen von wenigen Ausnahmen - auch nicht bei moderneren Synthesizern oder anderen Klangerzeugern üblich. Von daher sehe ich durchaus ein Potenzial auch für neuere Entwicklungen, solche Möglichkeiten weiter (oder wieder) anzubieten und zu nutzen. Es sei dahingestellt, ob sich dafür eine Exklusivlösung, wie sie das Subharchord darstellte, heute noch amortisieren würde, zumindest aber als integraler Bestandteil anderer universeller Klangerzeuger.

MM: Hatten Sie in den vergangenen Jahrzehnten nochmals die Gelegenheit bei der Konstruktion elektronischer Musikinstrumente mitzuwirken?

WH: Meine letzte Aktivität auf dem Gebiet betraf im Jahr 1968 das Studio für elektronische Klangerzeugung im Funkhaus Berlin-Nalepastraße. Gemeinsam mit Projektierungsingenieur R. Belitz habe ich nach einer Aufgabenstellung von G. Steinke den technischen Teil der Planung, Projektierung und Vormontage der anlagentechnischen Ausrüstung rund um das Subharchord als zentralem Klangerzeuger, bis hin zur Fertigung der einzelnen Anlagenteile betreut. Dazu gehörten neben diversen Aufzeichnungsgeräten auch ein kleines Regiepult in V700-Technik mit einer ersten Lösung für ein sog. Trickmischfeld, an dem die verschiedenen Effektgeräte miteinander verknüpft werden konnten. Und dann kam - kurz vor Montagebeginn - die unsägliche, rein politisch motivierte Entscheidung der Leitung des StRuKo zur abrupten Beendigung des Vorhabens, die zur Verschrottung der meisten, weitgehend fertig gestellten Anlagenteile führte, da sie wegen ihrer speziellen Ausstattung kaum anderswo eingesetzt werden konnten. Das bedeutete neben dem ideellen Schock auch die Ausbuchung von Kosten in Höhe von fast einer halben Million Mark.

MM: Vielen Dank, Herr Hoeg!

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* www.subharchord.de